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2010-03-05

Von einem Christen, der nicht Amen sagte (Sächsische Zeitung - Kamenz)

Von Carolin Barth

Der Oberlichtenauer Pfarrer Grundmann leitete das Entjudungsinstitut der Nazis. Eine Ausstellung thematisiert das.


Gemeindepädagogin Susanne Förster vom Bibelgarten Oberlichtenau führt durch die Ausstellung. Zu sehen ist die Hörbox mit Aussagen von Zeitzeugen und das Porträt Grundmanns. Er starb 1976 in Eisenach. Foto: M Schumann
Die Bank im Foyer lädt nicht zum Verweilen ein. Auf ihr steht ein Schild mit der Aufschrift „Nur für Arier.“ Weil solch grausame Anweisungen heute kaum mehr vorstellbar sind, sollen sich die Besucher der Ausstellung „Gratwanderung“ in die Zeit des Dritten Reiches versetzen und für zwei Stunden eine neue Identität annehmen: Die eines Arztes, der Karriere machen will oder die eines Jugendlichen, der verblendet Nazi-Gedankengut lebt. Die Ausstellung im Oberlichtenauer Jugendhaus der Westlausitz befasst sich ab heute mit Kirche in der NS-Zeit und besonders mit dem Entjudungsinstitut in Eisenach. Das brisante daran: Sein Leiter Walter Grundmann war 1932 Pfarrer in Oberlichtenau. Bereits ab 1930 gehörte er der NSDAP an. „Wegen dieser Brisanz wollten wir die Ausstellung als pro-jüdischer Bibelgarten unbedingt hier haben“, sagt Chef Maik Förster.

Exkurs in die Kunstgeschichte

Walter Grundmann ist in Oberlichtenauer Kirchenbüchern vermerkt und war während der Nazidiktatur führender Ideologe, um alles Jüdische aus dem christlichen Leben in Deutschland zu beseitigen. Ungeachtet seiner aktiven NS-Vergangenheit erlangte er als Theologe in der DDR hohes Ansehen, seine Schriften waren Standardwerke in religiösen Ausbildungsstätten. Die Ausstellung, ein Ergebnis einer Schülerrecherche von Elftklässlern des Luther-Gymnasiums Eisenach, geht dem kritisch nach. Drei Jahre lang waren die Studienergebnisse in wechselnden Orten zu sehen, unter anderem in Berlin und Österreich. Aufgezeigt werden Unterschiede auf zwischen der bekennenden Kirche, die sich gegen Nazis wehrte, und den deutschen Christen, die pro Hitler eingestellt waren. Auf Schautafeln wird thematisiert, wie alles Jüdische aus der Bibel und dem Gesangbuch verschwinden sollte. Außerdem gibt es einen Exkurs zur Kunstgeschichte. Er beweist, das es bis heute judenverachtende Darstellungen in Kirchen gibt. Viel Platz wird Walter Grundmann eingeräumt. Er leugnete, dass Jesus Jude war. Er nannte ihn Arier und strich Worte wie Zion oder Hosianna aus dem Gesangbuch und verbot das hebräische Amen auszusprechen. „In einer Hörbox kommen Zeitzeugen zu Wort, die Grundmann kannten. Sie erlebten ihn als Familienvater oder als jemand, der von seinen Auffassungen nicht abweichen wollte“, so Susanne Förster. Die Gemeindepädagogin führt durch die Ausstellung. Besucher sollen sich mithilfe fiktiver Biographien aus der Nazidiktatur in das Leben dieser Zeit hineinversetzen und anhand von Aufgaben auf den Schautafeln prüfen, inwieweit die Ideologie Einfluss nehmen kann. „Der Arzt zum Beispiel wird das Verbot für Juden, auf der Bank zu sitzen, hinnehmen, weil er den Beruf ausüben will und Karriere anstrebt“, so Susanne Förster. Sie ist gespannt auf die Reaktionen ihrer Besucher.

Eröffnung heute 19.30 Uhr. Führungen für Gruppen jederzeit möglich. Offen bis 27.3., jeweils Do bis Sa 17 bis 18 Uhr