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2010-02-28

Walter Grundmann - Eine Kurzbiographie

Quelle www.studentenpilot.de

Walter Grundmann (* 21. Oktober 1906 in Chemnitz, ? 30. August 1976 in Eisenach) war ein protestantischer Theologe in der Zeit des Nationalsozialismus. Er war seit 1930 NSDAP-Mitglied, seit 1933 aktives Mitglied der Deutschen_Christen und verfasste deren im ganzen Deutschen_Reich gültige Richtlinien. Seit 1939 war er akademischer Direktor des Instituts zur Erforschung jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben in Jena, das im Dienst des staatlichen Antisemitismus die ?Entjudung? der Bibel und theologischen Ausbildung betrieb.

Ausbildung und theologische Entwicklung bis 1939

Grundmanns Vater war Eisenbahninspektor. Er selbst war als Jugendlicher in christlichen Vereinen. Er entschied sich nach eigener Aussage für ein Theologiestudium wegen der Lektüre von Johannes_Müllers damals populärem Buch Die Bergpredigt. Darin wollte der Autor Jesus von Nazaret nicht als Juden, sondern als ?deutsche Figur? darstellen. Grundmann besuchte ihn einmal auf seinem Schloss Elmau.

Er studierte von 1926 bis 1930 in Leipzig, Rostock und Tübingen bei damals prominenten evangelischen Theologen wie Albrecht Alt, Adolf Schlatter, Karl Heim, Johannes Leipoldt und Paul Tillich. Nach seinem ersten theologischen Examen war er von Oktober 1930 bis März 1932 Assistent bei Gerhard Kittel, für dessen Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament er 20 Artikel verfasste. Er schrieb bei Kittel auch seine Doktorarbeit über den Begriff der Kraft in der neutestamentlichen Gedankenwelt, die 1932 als Buch erschien.

Parallel zum Studium interessierte er sich für Politik und wurde am 1. Dezember 1930 Mitglied der NSDAP, seit 1934 auch förderndes Mitglied der SS. - Am 1. Mai 1932 übernahm er eine Pfarrstelle als Hilfspfarrer in Oberlichtenau bei Kamenz und leitete zugleich den NS-Pfarrerbund in Sachsen. Die Machtergreifung Adolf Hitlers begrüßte er im Januar 1933 mit seiner Schrift Totale Kirche im totalen Staat. Darin hieß es:
:Die Christusbotschaft macht uns nicht undeutsch, sondern vollendet unser Deutschtum.
Die Frage nach der Rassenzugehörigkeit Jesu Christi sei unwichtig: Er sei nur als ?Wunderneuschöpfung Gottes von jenseits aller rassischen Zusammenhänge? zu verstehen.

Im Frühjahr 1933 schloss er sich der Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC) an und gründete für sie eine Untergruppe in Sachsen. Der ebenfalls dazu gehörende sächsische Landesbischof Friedrich Coch machte ihn im November zu seinem Assistenten im Rang eines Oberkirchenrats. Als solcher gab Grundmann das Monatsjournal Christenkreuz und Hakenkreuz heraus. Er verfasste 28 Thesen, die von den DC und den von ihnen geführten Landeskirchen - neben Sachsen auch Braunschweig, Mecklenburg, Oldenburg und Schleswig-Holstein ? als verbindliche Richtlinien angenommen wurden.

Darin erklärte Grundmann die Frage, ob Jesus Arier oder Jude sei, erneut als belanglos für seine Bedeutung. Er vertrete auf jeden Fall ein vom Judentum prinzipiell verschiedenes Gottesbild. Das Alte_Testament (AT) sei ein gegenüber dem Neuen_Testament (NT) minderwertiges religionsgeschichtliches Dokument, das den Verfall des Judentums durch seine Trennung vom wahren Gott veranschauliche. Seine ?jüdische Volkssittlichkeit und Volksreligion? sei überwunden und überholt; der Fluch Gottes laste auf diesem Volk bis heute. Um dieser Erkenntnis willen kann die Volkskirche das Alte Testament nicht aufgeben. - Von dieser Beibehaltung des AT rückte Grundmann später aus demselben Grund ? der angeblichen Verdorbenheit und Verfluchtheit des Judentums ? ab.

Infolge des Sportpalastskandals im November 1933 wurden einige DC-Kirchenleitungen, so auch die von Sachsen, entmachtet. Daher wurde auch Grundmann 1935 vorübergehend als Oberkirchenrat beurlaubt. Er blieb aber bei den nun zersplitterten DC aktiv und führte 1936 zwei ihrer Untergruppen, die Volksmissionarische Bewegung Sachsens und die Kirchenbewegung Deutsche Christen Thüringens zusammen.

Im Wintersemester 1936 erhielt Grundmann in Jena zunächst auf Probe den Lehrstuhl des Neutestamentlers Erich Fascher, dessen Entlassung die DC betrieben hatten. Die Universität Jena sollte zu einer reichsweit wirkenden Hochschule des Nationalsozialismus werden. 1938 ernannte der Rektor Wolf Meyer-Erlach Grundmann ohne Habilitation, fachliche Leistungsnachweise und Zustimmung des Dekans der Theologischen Fakultät zu einem ordentlichen Professor für Neues Testament und Völkische Theologie und empfahl ihn als Vorbild für alle Fakultäten: Seine wissenschaftliche Arbeit werde ?bahnbrechend sein für eine nationalsozialistische Haltung auf dem Gebiet der Theologie.? Seine Ernennungsurkunde trug Hitlers eigenhändige Unterschrift.

Am 11. Februar 1939 hielt Grundmann seine Antrittsvorlesung zur Frage der ältesten Gestalt und des ursprünglichen Sinnes der Bergrede Jesu. Darin behauptete er, die älteste Fassung der Bergrede (Lk 6,20-49) habe keine jüdischen oder alttestamentlichen Motive enthalten; diese habe erst der Evangelist Matthäus hineingebracht. Jesu Anliegen sei der Kampf gegen das Judentum gewesen. Er habe die rabbinische Auslegung alttestamentlicher Gebote in der Halacha (mündlichen Auslegungstradition der Tora) abgelehnt und dem ?jüdischen Vergeltungsgedanken? einen persönlichen ?Abba-Gott? der individuellen Vergebung und zwischenmenschlichen Liebe ohne Bindung an das jüdische Volk gegenübergestellt. Deshalb hätten die jüdischen Führer Palästinas seine Kreuzigung betrieben.


Leiter des Instituts zur ?Entjudung? von Kirche und Theologie (1939-1945)


Seit Anfang 1938 forcierten deutschchristliche Kirchenführer die Durchsetzung ihrer Richtlinien und gründeten dazu im Februar auf der Wartburg einen akademischen Bund für deutsches Christentum. Dabei wurde auch die Gründung eines antisemitischen Instituts zur ?Entjudung der Kirche? beraten. Der Vorschlag dazu kam von Hugo Pich, thüringischer Landessuperintendent. Seine Forderungen wurden am 15. November 1938 ? eine Woche nach den Novemberpogromen ? an alle Landesbischöfe weitergereicht; am 21. November antwortete Grundmann darauf mit der konkreten Planung einer ?Zentralabteilung zur Entjudung des religiösen und kirchlichen Lebens?. Denn die Judenfrage sei nun in ihr ?akutestes Stadium? getreten; die Kirchen müssten die Trennung von allem Jüdischen nun konsequent in allen ihren Tätigkeitsbereichen vollziehen. Die Zentralabteilung sollte daher drei Bereiche abdecken:
*ein Forschungsinstitut in Jena, das eine wissenschaftliche Zeitschrift herausgeben sollte
*eine Bibelgesellschaft, die eine ?entjudete Volksbibel? vorbereiten und herausgeben sollte
*eine Schule zur Fortbildung für Pfarrer, Lehrer und Kirchenvertreter, die ihnen die neuesten Erkenntnisse der anderen beiden Abteilungen vermitteln sollte.
Die Evangelische Kirche sollte dieses Institut in ständiger enger Abstimmung mit dem Reichspropagandaministerium, dem Reichskirchenministerium, Reichserziehungsministerium, der Reichsleitung der NSDAP und dem Gauleiter Julius Streicher einrichten.

Nach weiteren Beratungen und mit der Unterstützung der meisten Landeskirchen wurde das Institut am 6. Mai 1939 auf der Wartburg gegründet. Leiter war der Oberregierungsrat Siegfried Leffler; Grundmann wurde zum akademischen Direktor ernannt. In seiner Eröffnungsrede verglich er die Aufgabe mit der Reformation: Wie Martin Luther den internationalistischen Katholizismus habe überwinden müssen, so müsse der Protestantismus heute das Judentum überwinden, um Jesu wahre Botschaft zu verstehen. Dessen geistige Elemente versperrten den Deutschen den Zugang zur Bibel. So wie Hitler ein ?judenreines? Deutschland wollte, so wollte man ihm mit einem ?judenreinen? Christentum zur Seite stehen.

Das Institut wurde aber entgegen Grundmann Plan nicht an der Universität Jena, sondern in Eisenach errichtet. Träger war die nationalkirchliche Einung Deutscher Christen, die elf von 16 evangelischen Landeskirchen finanzierten.

Statt mit wissenschaftlicher Forschung beschäftigte das Institut sich fast ausschließlich mit antisemitischer Propaganda. Eine seiner Hauptaufgaben war die Zusammenstellung, Neuformulierung und ?Neudichtung? eines ?unjüdischen? Neuen Testaments im Sinne von Alfred Rosenbergs Forderung nach einem ?Fünften Evangelium?, die er in seinem von vielen DC begeistert begrüßten Buch Mythos des 20. Jahrhunderts aufgestellt hatte. Auch viele Bekenntnischristen befürworteten diese Arbeit des Instituts in der Hoffnung, dass eine dichterische Popularisierung biblischer Inhalte der Kirchenaustrittsbewegung der Jahre 1937 bis 1940 begegnen und die Menschen zum Verbleib in den Kirchen bewegen könnte.

1940 erschien das ?Volkstestament? mitsamt einem Katechismus. Es griff die seit dem 19. Jahrhundert üblich gewordene antijudaistische Bibelkritik auf, etwa indem es die paulinische Rechtfertigungslehre als jüdische ?Lohn-Straf-Moral? verwarf und damit eine Trennung von der Tora des Gottes Israels JHWH betrieb. Es verkündete nunmehr einen ?arischen Jesus?, der nicht aus dem Judentum stamme und sein Gottesbild gegen dieses gestellt habe. Die dichterische Textfassung stammte von der bekannten Balladendichterin und Inhaberin des Eugen Diederichs-Verlages Lulu von Strauß und Torney. Das Volkstestament fand jedoch nicht den erhofften und von den damaligen Evangelischen Landeskirchen geförderten Anklang unter den deutschen Protestanten.

1943 wurde Grundmann zum Militär einberufen und übergab die Institutsleitung daher an Georg Bertram.


Tätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg

1945 geriet Grundmann in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der er aber schon im Herbst des Jahres entlassen wurde. Im Dezember versuchte er, von der vorläufigen Kirchenleitung Sachsens die Zustimmung zu erhalten, das Institut weiterzuführen. Dies wies diese 1946 jedoch zurück. Wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP verlor er zunächst seine Professur. Die alliierten Behörden ließen alle seine bis dahin erschienenen Werke aus den öffentlichen Bibliotheken aussondern.

1947 gelang es Grundmann, eine Anstellung bei der Inneren_Mission in Waltershausen zu erhalten. Dort wurde er 1950 auch als Pfarrer eingestellt. Die Kirchliche Hochschule zu Naumburg (Saale) erteilte ihm 1954 einen Lehrauftrag; ein weiterer kam am lutherischen "Theologischen Seminar" in Leipzig hinzu. 1957 wurde er Rektor des Eisenacher Katechetenseminars, wo er zugleich als Dozent für Bibel wirkte. Damit erhielt er erneut Verantwortung für die theologische Ausbildung der Pfarrer in Sachsen. Seit den 1960er Jahren berief ihn die evangelische Kirche in der DDR außerdem zum Berater in die Evangelische Verlagsanstalt in Berlin. Diese gab seine in Ost- und Westdeutschland oft verkauften Evangelienkommentare heraus, die bis heute als Standardliteratur der Bibelwissenschaften geführt werden.

In der DDR gehörte Grundmann bis zu seiner Emeritierung 1975 trotz seiner NS-Vergangenheit zu den angesehenen theologischen Lehrern. Ein Jahr zuvor verlieh die Kirchenleitung ihm nochmals den Titel eines ?Kirchenrats?, um seine Arbeit anzuerkennen und seine Pension zu erhöhen. Zwar hatte das Ministerium für Staatssicherheit seine Dozententätigkeit dauernd beobachten lassen; doch seine Position ermöglichte ihm Auslandsreisen zu internationalen Kongressen. Er behielt auch seine Verbindungen zu anerkannten Studiorum Novi Testamentum Societas, in die er 1938 berufen worden war, ohne ihr weiter direkt anzugehören. Nach der Wende_in_der_DDR (1989) wiesen Nachforschungen im Aktenmaterial der Staatssicherheit nach, dass Grundmann dort als Inoffizieller Mitarbeiter geführt worden war.


Siehe auch

• in der Neuzeit]
• im Nationalsozialismus]


Literatur

* Max Weinreich: Hitler's Professors: The Part of Scholarship in Germany's Crimes against the Jewish People. New York, 1. Auflage 1946
* Kurt Meier: Kreuz und Hakenkreuz: Die evangelische Kirche im Dritten Reich. DTB, München 1992
* Jerke, Birgit: Wie wurde das Neue Testament zu einem sogenannten Volkstestament ?entjudet?? Aus der Arbeit des Eisenacher ?Instituts zur Erforschung und Beseitung des jüdischen Einflusses auf das deutsch kirchliche Leben?. In: Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hg.): Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen, Frankfurt am Main 1994, S. 201 ? 234
* Leonore Siegle-Wenschkewitz (Hrsg.): Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen. Arnoldshainer Texte Band 85, Haag + Herchen Verlag, ISBN 3861371871